Urteil mit Sprengkraft wurde gefällt!

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Französisches Berufungsgericht verurteilt TÜV-Rheinland wegen Pflichtverletzungen bei der Erstellung des Gutachtens zu Schadensersatz

Das Rad dreht sich. Im Prinzip geht es um Verbraucherschutz und den Wert von Gutachten und Akkreditierung. QZ-online.de berichtete am 16. Februar vom Urteil des Berufungsgerichtes in Aix-en-Provence. Der TÜV-Rheinland nimmt zu dem Urteil in Pressenotizen Stellung und sieht selbstverständlich die eigene Position und Recherchetiefe bei der Erstellung des fraglichen Gutachtens als genügend an. Auch andere TÜV-Gutachten führten zu Ermittlungen von Staatsanwaltschaft, wie beispielsweise das Gutachten des TÜV-Süd zur Standfestigkeit eines Staudamms in Brasilien.

Zertifikate und Akkreditierungen sollen Signale an Kunden senden und Vertrauen schaffen

Meist geht es um das Vertrauen von Kunden und Verbrauchern. Mit Zertifikaten und Akkreditierungen signalisieren Einrichtungen, die diese erteilen eine Qualität. Pflegedienstleistungen werden wie Hochschulstudiengänge und Prüflaboratorien zertifiziert und akkreditiert. Die Preise für die den entsprechenden Siegeln zugrundliegenden Prüfungen und Überwachungen zuweilen Anlass von Unwillen. Da mit dem Prüfsiegel Umsatz generiert wird und Kosten entstehen, bleibt die Frage nach Wert und Inhalt dieser Siegel nicht aus. In dem oben zitierten Urteil maß des Berufungsgericht dem vom TÜV-Rheinland erteilten Zertifikat einen Wert zu und letztlich der zertifizierenden Prüfeinrichtung eine geldwerte Verantwortung.

Die Konsequenzen des Urteils können sich in mehrfacher Hinsicht unerwartet darstellen, denn oft sind Technische Überwachungsvereine (TÜV) bzw. ihre Untergliederungen akkreditierte Prüfeinrichtungen. Die Marke „TÜV“ nimmt durch gegen ihre Prüftätigkeit gefällte Urteile Schaden. Ein Blick in die Liste der von der DAkkS GmbH akkreditierten Stellen zeigt einige ganze Anzahl von Einträgen. Die DAkkS GmbH ist DIE zentrale Anlaufstelle für Akkreditierungen in Deutschland. Wenn ein Zertifikat einer Prüfeinrichtung zu Verantwortung dieser zertifizierenden Einrichtung führt, muss ebenso nach der Verantwortung derjenigen gefragt werden, die über zertifizierenten Einrichtungen wachen (also deren Kompetenz und Verfahren bestätigen).

Im vorliegenden Fall ging es um die Prüfung der Plausibilität von Mengen und Qualitäten des vom Implantatehersteller eingekauften Silikons. Die Prüfung der Implantate durch den TÜV-Rheinland hätte dem Urteil zufolge auch den Einkauf des Herstellers der zu zertifizierenden Silikonkissen erfassen sollen. Es kann diskutiert werden, ob es sich dabei nicht um eine erhebliche Erweiterung des Prüfauftrages gehandelt hätte. Zweifelsfrei wäre dies aus Verbrauchersicht vorteilhaft gewesen.

  1. Musste diese Erweiterung des Prüfumfangs aus Sicht der Gutachter des TÜV-Rheinland eine eigentlich erforderliche Erweiterung darstellen?
  2. Was hätte den Gutachtern des TÜV-Rheinland Hinweise auf die erforderliche Erweiterung des Prüfumfangs / der Prüftiefe geben müssen?

Eine akkreditierte Einrichtung ist zugleich immer auch ein Stück weit „Staatsorgan“. Damit ergibt sich eine Verantwortung, die dazu führen kann, dass Erkenntnisse, die zu Straftaten oder deren Vertuschung im Rahmen eines Prüfauftrages gewonnen werden, an die zuständigen Behörden übermittelt werden müssen, denn DIN17025:2018-3 gibt unter seinen strukturellen Anforderungen in Abschnitt 5.4 vor, dass Labortätigkeiten so ausgeführt werden müssen, das nicht nur die Anforderungen seiner Kunden sondern auch der Aufsichtsbehörden und der Organisationen, die Anerkennung gewähren, erfüllt werden. Prüfeinrichtungen müssen unparteilich handlen – dürfen also nicht einseitig Gutachten zu Gunsten ihres Auftraggebers erstellen. Die akkreditierende Einrichtung (zum Beispiel die DAkkS in Deutschland) prüft Prüfeinrichtungen (hier TÜV) und gibt Zeugnis über die Kompetenz der Prüfeinrichtung. Die geprüfte Prüfeinrichtung darf somit davon ausgehen, kompetent zu sein und in Folge ihrer zugemessenen Kompetenz richtig zu prüfen. Verbrecherische Absicht zu unterstellen und zu ahnden, gehörte bisher nicht unbedingt zu den geforderten Grundannahmen einer Prüfeinrichtung bei der Erstellung von Gutachen.

Hier scheint demnach eine unterschiedliche Sichtweise von Judikative und akkreditierender Einrichtung (DAkkS GmbH) vorzuliegen. Damit lässt sich die Frage von Haftung und Verantwortung von der Prüfeinrichtung auf die Einrichtung erweitern, welche der Prüfeinrichtung eine Akkreditierung / Zertifizierung ausspricht oder hier ausgesprochen hat.

Des weiteren ist zu fragen, wie das bewusste „Anpassen“ oder Fehldatieren von Unterlagen zur Erlangung der Anerkennung der Kompetenz (Akkrediterung) unter diesem Gesichtspunkt zu bewerten ist. Bei Entdeckung kann das laufende  Verfahren abgebrochen und / oder eine Akkreditierung entzogen werden. Es bleiben Fragen offen:

  • Wie ist das falsche Zuweisen von Kompetenz oder das Zuweisen falscher Kompetenzniveaus in diesem Kontext zu bewerten / ahnden?
  • Welche Anforderungen müssen Prüfeinrichtungen an akkreditierende Einrichtungen und deren Aufsicht stellen?
  • Wie wenig aktuell darf beispielsweise das Regelwerk / die Handreichungen der akkreditierenden Einrichtung sein?
  • Mit der Novelle der DIN 17025:2018-3 wurde nicht nur ein gelebtes Risikomanagement sondern auch das Informationsmanagement vertieft und aktualisiert. Der Leitfaden zum Einsatz von Computersystemen in akkrediterten Laboratorien (71 SD 0 004:2010-12-21) ist mittlerweile volljährig, denn er ist eine Abschrift eines Dokuments von vor der Jahrtausendwende (DAR-INF 7, Version 1.0/08.2000). Die Entwicklung von Bedrohungslagen, Technik und Zeit führten in anderen Qualitätssystemen längst zu den fälligen Aktualisierungen. Keine Kompetenz in diesem Punkt zu haben, kann für Prüfeinrichtungen ebenso fatale Folgen zeitigen wie das falsche Vorgehen im Zusammenhang mit Prüfmethoden. Müsste es demnach nicht in der Verantwortung der Instanz liegen, welche die Aufsicht über die akkreditierende Einrichtung führt, diesen Kompetenznachweis umgehend zu erbringen?

In diesen Kontext gestellt relativiert sich die alleinige Verantwortung der die Brustimplantate zertifizierenden Prüfeinrichtung möglicherweise. Welche Verschiebung oder Verlagerung von Schadensersatzansprüchen ergibt daraus für Betroffene? Ziel von Qualitätssicherung muss das Wohl und Vertrauen der Verbrauchenden sein.