Sorgt Industriesilikon für die Haftung benannter Prüfstellen?
Industriesilikon in fehlerhaften Brustimplantaten führte zu Schäden für Verbraucherinnen [1]. Die Implantate mussten entfernt oder getauscht werden. Schäden sind zu mindern. Es entstanden und entstehen Kosten für notwendige Operationen und Beerdigungen. Die Verwendung von Industriesilikon statt Spezialsilikon, um Kosten zu sparen, ist Betrug. Es gab ein Urteil. Der Hersteller wurde schuldig gesprochen. Fertig? Eine akkreditierte und notifizierte Prüfeinrichtung hatte den Produktionsprozess des Implantateherstellers zertifiziert. Die Frage, inwieweit eine akkreditierte Prüfeinrichtung für ihre Beurteilung haftet und inwieweit eine Verantwortung über die Zeritifizierung des reinen Herstellungsverfahrens hinaus besteht, beurteilten Gerichte unterschiedlich. Einer Verurteilung in erster Instanz folgte ein Freispruch in zweiter Instanz.
Unbedenklichkeitserklärungen als Ergebnis einer akkreditierten Prüfeinrichtung erwiesen sich auch im Fall einer Prüfung der Standfestigkeit des Staudamms einer brasilianischen Mine als falsch. Der Damm brach kurz Zeit nach der Prüfung.
Die beiden angeführten „Irrtümer“ stehen für eine Reihe zweifelhafter Prüfergebnisse, die aus Sicht der Verbraucher schädlich waren. Nach Freisprüchen der Prüfeinrichtung, verwies der BGH das Verfahren über die Mitverantwortung der zertifizifikatauststellenden Prüfeinrichtung in Bezug auf die Brustimplantate an das Oberlandesgericht zurück, um prüfen zu lassen, ob eine deliktische Haftung in Frage komme [2].
Aufgrund ausgestellter Zertifikaten von für ein bestimmte Beurteilung kompetent benannten Prüfeinrichtungen treffen Verbraucher Entscheidungen. Konformitätsbeurteilungen durch benannte Prüfeinrichtungen stellen die Zusicherung von Unbedenklichkeit aufgrund sorgfältiger Prüfung dar, für die „gewöhnlichen“ Menschen weder die Fachkenntnis noch die Prüfmittel zur Verfügung stehen. Stellen, welche Prüfeinrichtungen akkreditieren, sichern den Verbrauchern die Urteilsfähigkeit, Unabhängigkeit und Vertrauenswürdigkeit der betreffenden Prüfeinrichtung zu und übernehmen damit zugleich Verantwortung für diese (dem Verbraucher gegebene) Zusicherung.
Trägt die zusichernde Stelle damit nicht ebenfalls Verantwortung insbesondere dann, wenn es zu wiederholten Falschzertifizierungen kommt? Wenn es zu wiederholten Akkreditierungen von Prüfeinrichtungen, deren Zertifikate Mängel aufweisen, kommt, ist dann die Kompetenz der akkreditierenden Stelle nicht ebenfalls fraglich?
Welchem Kompetenzfeststellungsprozess unterliegen die Gutachtenden der akkreditierender Stellen? Auf welche Weise wird die Aktualität ihrer Kompetenz gesichert?
Notifizierte und akkreditierte Prüfeinrichtungen unterliegen einer in relativ kurzen Zeitabständen erfolgenden Begutachtung, die sowohl Kompetenzen des implementierten Qualitätssystems als auch die fachliche Qualifikation erfassen. Prüfeinrichtungen nehmen regelmäßig an Vergleichsuntersuchungen (sogenannten Ringversuchen) teil [3]. Ergeben die von einer teilnehmenden Prüfeinrichtung gelieferten Expertisen nicht die im als richtig erkannten oder im Vergleich mit den anderen teilnehmenden Prüfeinrichtungen ermittelten richtigen Ergebnisse, verliert die Prüfeinrichtung im Wiederholungsfall die Akkreditierung für diese Untersuchungsart – und muss dies Kunden mitteilen.
Im Zusammenhang mit fehlerhaften Prüfergebnissen oder fehlerhaften Handhabungen des Verfahrens oder der Übernahme von Verantwortung ist festzustellen, dass ein System, das die Verbraucher schützen soll, sich als offensichtlich disfunktional erweist. Die geforderte „strengere“ Überwachung [4] baut unmittelbar auf das den Prüfeinrichtungen entgegen zu bringende Vertrauen und die Kompetenz der Einrichtung, die diese Vertrauenwürdigkeit feststellt. Müssten dann nicht die die Vertrauenswürdigkeit feststellenden und nach außen verkündenden Fachleute ihre Kompetenz durch regelmäßige und erfolgreiche Teilnahmen an Vergleichsuntersuchungen in den Bereichen unter Beweis stellen in denen sie Vertrauenswürdigkeit Dritter verkünden?
Ergänzende Anmerkungen:
Das Gesetz sieht eine Haftung für Überwachungsleistungen und Beurteilungsleistungen vor. Dies gilt jedenfalls für Baustatiker [5] ebenso wie für Beauftragte des Strahlenschutzes [6]. Letzteren wird zudem eine Weisungsbefugnis zuerkannt. Bei diversen Akkreditierungsverfahren kam es wiederholt zu Forderungen nach Einbindung und Berücksichtigung von Texten und Vorschlägen der akkreditierenden Stelle seitens der Begutachtenden. Forderungen, die an Weisungen grenzen, da sich im Akkreditierungsverfahren befindliche Prüfeinrichtungen in der schwächeren Position sehen. Weisungen führen zu Verantwortlichkeiten und letztlich zu Mit-Verantwortung und Mit-Haftung mindestens entsprechend der im Strahlenschutz beauftragten oder sogar verantwortlichen Personen. Selbst ohne diese Form der „Weisung“ bleibt ein Teil der Mit-Verantwortung und Mit-Haftung für fehlerhafte Gutachten und Zertifizierungen bei den akkreditierenden Stellen insoweit keine Arglist oder grobe Fahrlässigkeit auf der Seite der Prüfeinrichtung nachzuweisen ist.
Die offen zutage tretende Problematik der Endverantwortlichkeiten lässt sich unterschiedlich regeln. Akkreditierende Stellen und beurteilende Prüfeinrichtungen könnten von jeder Haftung freigestellt sein, was jedoch die Sinnhaftigkeit und den Nutzen eines Akkreditierungsverfahrens für Verbraucher und Prüfeinrichtungen letztlich infrage stellt. Wird eine Mit-Verantwortlichkeit akkreditierender Stellen sowie Prüfeinrichtungen für Prüfergebnisse, Zertifikate, Gutachten und Akkreditierungen gesehen, muss dies eine Novellierung derzeitiger Handhabungen nach sich ziehen. Stellt das Oberlandesgericht im oben zitierten Fall eine deliktische Handlung fest, gilt Unterlassung, Nichthandeln als Straftatbestand, zumal wenn Gefahr im Verzug oder ein drohender Schaden vermeidbar ist. Spätestens dann gilt es den gesamten Verantwortungsstrang neu zu tarieren.
Mit Spannung erwarten Verbraucher und Prüfeinrichtungen das Urteil des Oberlandesgerichts zur deliktischen Mithaftung von Gutachtern. Ein Urteil im Sinne einer deliktischen Mithaftung
- stärkt Verbraucherrechte und Verbraucherschutz,
- wertet die Tätigkeit von Prüfeinrichtungen auf,
- gibt Prüfeinrichtungen zugleich mehr Verantwortung,
- stärkt die Kontrolle von Unternehmen im Sinne des Verbraucherschutzes / der Produktsicherheit.
Als Verstärker einer verbraucherfreundlichen Wirkung könnte sich zudem die geringe Neigung der Versicherungswirtschaft zur Übernahme „delegierbarer“ Kosten erweisen. Prüfeinrichtungen müssen über einen angemessenen Versicherungsschutz verfügen, der Schäden regulieren und somit die Absicherung von Verbrauchern sichern soll. Die Bedingungen der aktuellen Umsetzungspraxis von Akkreditierungen könnte die Versicherungswirtschaft von einem Teil ihrer Verantwortung (Kosten) befreien und diese auf die akkreditierenden Stellen verlagern. Gewollt oder nicht, es entsteht ein Regelkreis, der den Schutz der Verbraucher mittelfristig stärken muss.
Als Indizien für eine praktisch ausgeübte Weisungsfunktion der akkreditierenden Stellen gegenüber Prüfeinrichtungen könnten gelten:
- Kosten / Stundensatz / Frequenz der überwachenden Maßnahmen durch die akkreditierenden Stellen.
- Kommunikation mit weisungsartigem Charakter zur Übernahme eigener Vorgaben
- Beschwerdesystem, welches eine nach DIN17011:2018-3 vorgesehene Korrektivfunktion nur formal erfüllt [7].
Als Indizien für eine Mitverantwortung von Prüfeinrichtungen im Sinne von Haftung gegenüber Verbrauchern könnten gelten:
- Über die reine Prüfungsleistung hinausgehende Beratung,
- Abstimmung von Elementen in Gutachten / Überarbeitung auf Kundenwunsch,
- Kommentierungen, Meinungen, Wertungen in Gutachten, die über eine Würdigung der anzuwendenden und zu referenzierenden Normen und Richtlinien, wie es der Prüfauftrag unmittelbar erfordert, hinausgehen und geeignet sind, eine Handlungsbindung herzustellen.
Derzeit findet sich eine wesentliche Akkreditierungsstelle im Ministerium für Wirtschaft angesiedelt. Akkreditierung soll die Sicherheit von Prüfergebnissen aber auch im Sinne von Verbrauchern gewährleisten. Verbraucherschutzeinrichtungen mit der Aufgabe, die Sicherheit von Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen zu überwachen, finden sich in den Bundesländern unterschiedlichen Ministerien zugeordnet, gerne dem Umweltressort oder der Landwirtschaft. Möglicherweise kollidieren die Interessen von Verbrauchern im Bund anders als in den Bundesländern?
Fazit: Fehler bei Prüfungen und Beurteilungen können nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Sie sind in Anzahl und Auswirkungen zu minimieren. Rein regelungstechnisch und rechtlich scheint es um den Verbraucherschutz im Bereich Lebensmittel gut bestellt. Dennoch kommt es zu Problemen [8]. Möglicherweise muss Qualität und Verantwortung auf unterschiedlichen Ebenen neu gedacht, geregelt und verantwortet werden.
Quellen:
[5] https://www.frag-einen-anwalt.de/Wie-lange-haftet-ein-Statiker-fuer-Planungsfehler–f262769.html
[6] https://www.safetyxperts.de/arbeitsschutz/strahlenschutzbeauftragter/
und :https://www.komnet.nrw.de/_sitetools/dialog/13404
[7] https://www.dakks.de/sites/default/files/dokumente/71_sd_0_009_beschwerdeverfahren_20181023_v1.1.pdf
[8] https://kommunal.de/kommunale-lebensmittelkontrollen-pruefstand